Bauarbeiten am Bahnhof in Lingen: Mit Ticket im falschen Zug – das kostet
Von Thomas Pertz
60 Euro musste die Iranerin Sahar Karimi*, die hier ihre Fahrkarten dem Integrationslotsen Jürgen Blohm zeigt, nachzahlen. Er kann das Verhalten der Westfalenbahn nicht verstehen.60 Euro musste die Iranerin Sahar Karimi*, die hier ihre Fahrkarten dem Integrationslotsen Jürgen Blohm zeigt, nachzahlen. Er kann das Verhalten der Westfalenbahn nicht verstehen.
Weil sie in Lingen in den falschen Zug eingestiegen ist, muss die Iranerin Sahar Karimi* 60 Euro an die Westfalenbahn zahlen. Integrationshelfer Jürgen Blohm ist deshalb sauer auf das Unternehmen.
Die 47-jährige Iranerin lebt seit etwa zweieinhalb Jahren in Deutschland und wohnt in einem Flüchtlingsheim in Emsbüren. Zweimal in der Woche fährt sie mit dem Rad zum Bahnhof nach Leschede und nimmt den Zug nach Lingen, um dort an einem Sprachkurs teilzunehmen. Das Fahrrad stellt sie am Bahnhof in Lingen ab.
So war es auch am 30. Juli. Die Iranerin kaufte für jeweils 4,20 Euro eine Hin- und Rückfahrkarte. Nach dem Sprachkurs in Lingen wollte sie am Bahnhof in Lingen ihr Fahrrad nehmen – und bekam ihr Fahrradschloss nicht auf.
Die Zeit drängte. Sie hob das Rad kurzerhand am Gepäckträger hoch, schob es auf den Bahnsteig und stieg auf Gleis 1 in den Zug ein. Der fuhr aber nicht nach Emsbüren, sondern nach Meppen.
Während der Bauzeit für den neuen Aufzug am Lingener Bahnhof fahren alle Züge barrierefrei am Gleis 1 ab. So natürlich auch an jenem Freitag Ende Juli. Die Iranerin merkte erst im Zug, dass der in die für sie falsche Richtung fuhr. Sie stieg in Geeste aus und und in den nächsten Zug nach Lingen wieder ein.
Bei der Fahrscheinkontrolle berichtete sie dem Mitarbeiter der Westfalenbahn von dem Irrtum und zeigte ihm die beiden Fahrkarten von Leschede nach Lingen und zurück. Dieser hat sich nach ihren Worten zwar verständnisvoll gezeigt, informierte aber die Zentrale der Westfalenbahn.
Da die Iranerin für die Strecke Geeste-Lingen keinen Fahrschein besaß, wurde sie aufgefordert, ein „erhöhtes Beförderungsentgeld“ von 60 Euro zu zahlen. Viel für die 47-Jährige, die nach eigenen Angaben im Iran als Chemikerin und Hebamme gearbeitet hat.
Karimi berichtet Jürgen Blohm davon. Der Lingener ist Vorsitzender des Vereins „Willkommen im südlichen Emsland – Integrationslotsen“. Selbstverständlich sei auch er gegen Schwarzfahrer, betont Blohm, „aber die Iranerin hatte einen Fahrschein Lingen–Leschede gelöst, wollte also keineswegs Leistungen erschleichen“.
Die Ansagen am Bahnsteig, sofern sie überhaupt erfolgen würden, seien nicht immer gut zu verstehen. Der Flüchtlingsbetreuer sagt:
„Kommen noch leichte Probleme mit der Sprache hinzu, nutzen die Durchsagen kaum.“
Er schreibt deshalb eine Mail an die Westfalenbahn und schildert den Vorgang. Die Iranerin wisse, dass vom Bahnsteig 1 in Lingen die Züge Richtung Süden fahren, schreibt Blohm an das Unternehmen. Wegen des Fahrstuhleinbaus würden derzeit aber auch die Züge nach Norden von diesem Bahngleis fahren.
„Deshalb ist sie versehentlich in den falschen Zug gestiegen“, bat der Lingener um Verständnis. Dieser Fehler sei der Frau auch wegen ihrer noch nicht perfekten Sprachkenntnisse unterlaufen.
„Für alle, die von Sozialleistungen leben, bedeuten 60 Euro sehr viel Geld“, so Blohm weiter. Er bitte deshalb darum, diesen Vorgang noch einmal zu bewerten und auf die Strafzahlung zu verzichten, schrieb der Integrationslotse abschließend. Allerdings vergebens.
„Aufgrund der eindeutigen Sach- und Rechtslage sehen wir keine Möglichkeit, von der Erhebung eines erhöhten Beförderungsentgeltes abzusehen“, antwortete die Westfalenbahn Sahar Karim und nahm dabei auch Bezug auf die Mail von Blohm. „Letztmalig fordern wir Sie auf, den Betrag von 60 Euro innerhalb von acht Tagen […] zu überweisen“, heißt es in der Antwort weiter.
Die Iranerin hat inzwischen bezahlt. In der letzten Woche ist sie mit dem Fahrrad von Leschede nach Lingen und wieder zurück gefahren, um die 8,40 Euro zu sparen. Es sei wirklich ein Versehen gewesen, sagt sie noch einmal mit Nachdruck.
Jürgen Blohm kann die Vorgehensweise der Westfalenbahn nicht nachvollziehen. „Die Frage, die sich mir stellt: Müssen Irrtümer mit derart drakonischen Strafen belegt werden? Kann nicht mal der normale Menschenverstand eingeschaltet werden?“
*Name von der Redaktion geändert
Der Verein „Willkommen im südlichen Emsland – Integrationslotsen e. V.“ wurde im März 2016 in Lingen gegründet. Zweck des Vereins ist es, Zuwanderer bei der Integration zu begleiten und zu unterstützen.